Bereits um 8:30 Uhr starteten wir nach Geestland in der Nähe von Bremerhaven. Ohne Stau, dank der übersichtlichen Fahrweise des Busfahrers Hermann (Elpers Reisen) erreichten wir pünktlich um 12:45 Uhr nach entspannter Fahrt unser Ziel. Firma East-West Textilrecycling Kursun GmbH einem der ersten Textilrecyclingbetriebe in Deutschland. Bundesweit auch eines der ersten zertifizierten Betriebe der Branche und langjähriger Partner von Kolping-Recycling.
Im Tagungsraum wurden wir herzlich vom Herr Voigt (Leitung Wareneinkauf/Vertrieb/Disposition) begrüßt und zunächst mit Kaffee, Tee und Gebäck versorgt. Nach einem kleinen Unternehmensfilm mit weiteren Fakten zum Unternehmen „Aus kleinsten Anfängen – einem Stand auf einem Flohmarkt in den 70er Jahren - entwickelte sich ein modern ausgestattetes, nahezu weltweit tätiges Unternehmen. 1989 gründete der Senator h.c. Zeki Kursun das Familienunternehmen und investierte vor über 30 Jahren in die gewerbliche Sammlung von Alttextilien. Von Anfang an verfolgte man das Ziel, diese umweltschonend und zu 100 Prozent zu verwerten. Inzwischen werden über 170 Mitarbeiter beschäftigt und das Unternehmen stellt damit am Standort eine echte wirtschaftliche Größe dar. Die gesammelte „Rohware“ (Bekleidung • Schuhe • Tisch-Haus-und Bettwäsche •, Handtücher • Heimtextilien • Lederwaren • Stofftiere und Puppen) wird ca. zu 50-60% als Kleidung, Haushaltstextilien verwertet. Weitere 30-40% werden zu Putzlappen, Malervlies oder auch Dämmstoffe für die Automobilindustrie weiterverarbeitet. Der verbleibende Rest wird lt. Herrn Voigt leider immer noch zu häufig der thermischen Verwertung zugeführt. Da die teuer angekaufte Rohware dann auch noch teuer entsorgt, verbrannt werden muss, ist es natürlich im eigenen wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens East-West diese Prozentzahlen immer mehr gegen null (0) zu bringen. Man arbeitet sehr intensiv daran und ist auch mit der Wissenschaft, also den Universitäten, Fachhochschulen, Textilindustrie in Kontakt. Am Ende soll dann die 100%-Kreislaufwirtschaft stehen d.h. in nicht allzu ferner Zukunft wird ein Textil hergestellt und nach dem Tragen zurückverwandelt in seine Bestandteile und neu wieder zu einem Textilstoff bzw. Kleidung verarbeitet.
Wie notwendig und wichtig diese Informationsreise für uns als Mitreisende war, merkte man nachfolgend, denn es drohte sogleich in ein Frage- und Antwortspiel überzugehen. Zu diesem frühen Zeitpunkt nicht vorgesehen, meinte der ebenfalls vor Ort anwesende Geschäftsführer der Kolping Recycling Stephan Kowoll, wir würden zunächst besser die sehr interessante und spannende Betriebsführung machen, um nicht in Zeitverzug zu geraten. So wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt, mit Warnwesten ausgestattet und gingen unter Führung von Herrn Voigt über das doch recht weitläufige Betriebsgelände und zu den Sortieranlagen in mehreren großen Betriebsgebäuden, Werkhallen. Auch ein Streichelzoo wurde uns auf dem Freigelände gezeigt (Spaß!), denn zwölf Hunde laufen dort außerhalb der Geschäftszeiten herum, um potentielle, nicht gern gesehene Besucher vom Betreten des Geländes abzuhalten. Punktuell blieben wir zu einigen Erklärungen, oder um Fragen direkt zu beantworten, stehen oder schauten den MitarbeiterInnen über die Schulter bzw. bei ihren Tätigkeiten zu.
Der Betriebs- bzw. Sortierungsablauf beginnt in der „Vorsortierung“. Die angelieferte Rohware (Altkleidersammelsäcke/Kartonagen), wird über große LKW-Wechselpritschen, die dann vor Ort im Ganzen abgekippt werden oder über Transporter/Kastenwagen (3,5to) händisch abgeladen und läuft automatisch über Förderbänder und eine Waage bis zur „Vorsortierung“. Dort erfolgt an mehr als 16 Arbeitsplätzen eine erste Grobsortierung der Textilien. Materialien, die für das Recycling, die weitere Verarbeitung und Sortierung geeignet sind werden erkannt und ausortiert. Fremdstoffe (u.a. Metalle, Holz und vieles andere, z.B. ganze Bügelbretter), durchnässte oder stark verschmutzte Textilien werden aussortiert, um die bereinigte Ware über die Förderbänder der weiteren Selektierung zuzuführen. Zitat: “Es gibt fast nichts, was nicht schonmal in einen Altkleidercontainer gefunden wurde. Genaueres wollen sie vermutlich nicht wissen!” Danach läuft die Ware zu vier gleich organisierten sogenannten Nest-Stationen, an denen jeweils vier MitarbeiterInnen eine erste genaue Auswahl nach festgelegten Sortierkriterien treffen. Ebenfalls werden hier bereits Schuhe, Kinderspielzeug (z.B. Plüschtiere) entnommen und gesondert gelagert und vorsortiert. Für jede Warengruppe gibts auch “SpezialistInnen” die durch ihre Erfahrung die Rohware schnell als brauchbar oder unbrauchbar erkennen.
Die Beschickung der einzelnen Sortiertische erfolgt automatisch und per Knopfdruck des Sortierpersonals durch eine vollautomatische Schüttvorrichtung mit ca. 110 kg Material, das für die weitere Wertschöpfung als geeignet erkannt wurde. Dort wird nun unterschieden nach Fraktionen wie Hemden, Hosen, Mänteln, Haushalt etc. und die erkannten Teile werden händisch in entsprechende Schächte geworfen. Computergesteuert in einem jeweils vorprogrammierten Zeitfenster öffnet sich pneumatisch der jeweilige Schacht und die darin akkumulierte Menge an wertigen Gebrauchttextilien wird über Förderbänder und einen weiteren „Roboter“ automatisch dem Sortierkomplex „Feinsortierung“ mit derzeit 36 Sortiertischen zugeführt.
In der „Feinsortierung“ werden nach festgelegten Sortierkriterien Gebrauchttextilien nach ihrem Wert, ihrer Qualität und Bestimmung erkannt und sortiert. Die LeiterInnen der Qualitätssicherung „absolute Könner“ kontrollieren die Einhaltung der Sortierkriterien und Sortiernormen, die sowohl internationalen Regularien entsprechen, aber auch schnell den Wünschen und Forderungen der Kunden des Unternehmens East-West angepasst werden. Über 400 Sortierungen sind schon im Angebot und durch spezielle Kundenwünsche werden es immer mehr. Absolute Top Ware wird Hausintern als Creme (Creme de la Creme, herausragende Qualität) bezeichnet und hat einen sehr, sehr geringen Anteil vom Gesamtaufkommen der Alttextilien.
Nach dem Sortierprozess werden die Textilien fachgerecht verpackt und in Ballen gepresst. Im Endlager stehen dann die selektierten, desinfizierten und sorgfältig verpackten Waren für ihre Reise in die Welt bereit.
Während dieser beeindruckenden Führung wurden auftauchende Fragen offen und fachkompetent beantwortet. Komplexere Fragen mussten allerdings für das anschließende Gespräch zurückgestellt werden, um nicht in Zeitnot zu geraten und durch die gehörige Geräuschkulisse in den Hallen. Gegen 15 Uhr und etlichen hundert Metern Fußweg betraten wir wieder den Tagungsraum.
Beide Besichtigungsgruppen waren nun wieder vereint und Herr Voigt (Ehrenamtlich Vorsitzender des bvse-Fachverband Textilrecycling) ließ sich jetzt, wie angekündigt, von uns interessierten Besuchern über das Thema „Textilrecycling, Verwertung“ in einem lockeren Ton ausfragen, um die ggf. vorhandenen, mitgebrachten Vorurteile, Bedenken größtenteils zu zerstreuen oder zu widerlegen wurden wir mit einigen Fakten aus dem Business konfrontiert.
Nachfolgend hier der Versuch die Ausführungen zu bündeln.
Hauptsächlich vertreibt East-West Textilrecycling seine Textilien an Importeure in Afrika und Osteuropa. Aber auch Südamerika entwickelt sich zu einem festen Markt des Unternehmens. "Heute macht unser Exportgeschäft rund 90 Prozent unseres Gesamtgeschäftes aus" meinte Herr Voigt. "In Deutschland besteht für derartige Produkte kaum Bedarf, in den ärmeren Regionen der Welt aber sehr wohl. Durch die Wiederverwendung im Ausland konkurrieren diese Textilien dabei nicht mit der dortigen Wirtschaft, sondern ermöglicht komplementär den kostengünstigen Zugang zu hochwertigen Textilprodukten. Über 70% der Weltbevölkerung kleidet sich mit Second-Hand-Ware ein. Dieser Bedarf wäre aus Primärrohstoffen schwer zu decken. Der immer wieder erhobene Vorwurf, auch aus unseren Reihen, der Export von Altkleidern sei für den Niedergang der afrikanischen Textilindustrie verantwortlich, ist nach heutigen Erkenntnissen nicht haltbar. Im Gegenteil: Der Export ist sinnvoll und alternativlos. Die Situation der lokalen Textilproduktion beruht auf vielen verschiedenen Ursachen: Dazu gehören wirtschafts- und handelspolitischen Probleme aber auch Probleme mit der Infrastruktur, beispielsweise der Energieversorgung sowie der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Außerdem überschwemmen asiatische Textilhersteller die Märkte mit billiger Kleidung.
Nach der aktuellen bvse-Alttextilstudie beträgt das Altkleideraufkommen in Deutschland rund 1,3 Millionen Tonnen pro Jahr. Trends wechseln schnell und Modeketten bringen ständig neue Modekollektionen auf den Markt. Entsprechend häufig wird Neues gekauft. Entsprechend schnell wird auch wieder aussortiert. Die Textilrecyclingbranche sorgt für eine sinnvolle und ressourcenschonende Verwendung. Die Studie des bvse aus dem Jahr 2018zeigt, dass die Wiederverwendungsquote von Alttextilien weiter zugenommen hat und nun bei 62% der Gesamtmenge liegt, was in Summe über 810.000 Tonnen ausmacht.
Warum werden Altkleider exportiert?Gibt es nicht in Deutschland genügend Bedürftige, die die Altkleider gut gebrauchen könnten? Die kirchlichen und caritativen Organisationen entnehmen den Sammlungen, was sie für ihre Kleiderkammern vor Ort benötigen. Der Bedarf ist aber bei weitem nicht so groß wie das Sammelaufkommen. Daher ist es sinnvoll, mit national nicht benötigten Mengen den weltweiten Bedarf an tragbarer Secondhandkleidung zu bedienen.
Was wäre die Alternative zum Export von Alttextilien?Die „Altkleiderberge“ in Deutschland sind nicht wegzudiskutieren. Eine Wiederverwendung als Secondhandware im In- und Ausland ist sozial, ökonomisch und ökologisch sinnvoll. Zu Wiederverwendung und Recycling gibt es keine sinnvolle Alternative. Die Verbrennung brauchbarer Kleidung wäre eine nicht zu rechtfertigende Verschwendung von Ressourcen.
Schafft die Altkleiderbranche in Deutschland und den Empfängerländern auch Arbeitsplätze? Für deutsche Textilrecycling-Firmen arbeiten mehrere Tausend Menschen. Als einer der wenigen Wirtschaftszweige bieten die Unternehmen des Textilrecyclings mit ihren aufwändigen Sortierprozessen auch Arbeitnehmern ohne Ausbildung oder mit geringer Qualifikation eine Perspektive. Die große Nachfrage nach guter und günstiger Secondhandkleidung hat auch in den Käuferländern viele neue Verdienstmöglichkeiten geschaffen. Tausende Menschen bestreiten ihren Lebensunterhalt mit dem Handel von Altkleidern sowie der Reparatur und Aufarbeitung von Kleidungsstücken auf die länderspezifischen Bedürfnisse.
Ist die Wiederverwendung und das Recycling von Altkleidern ökologisch?Der Anbau von Baumwolle als Rohstoff für die Textilindustrie ist sehr wasserintensiv. Gerade in Regionen, in denen Wasser knapp ist, ist das problematisch. Darüber hinaus benötigen die Baumwoll-Monokulturen oft einen hohen Pestizid-Einsatz. Die Wiederverwendung von gebrauchten Kleidern spart Ressourcen und ist deshalb nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch und sozial sinnvoll. Beispielsweise können durch den Wiedereinsatz eines T-Shirts 3kg CO2 eingespart werden.
Brauchen Menschen in Afrika oder Osteuropa Secondhandkleidung?Insbesondere in ländlichen Regionen Afrikas hat die Versorgung mit Secondhandkleidung für die Bevölkerung als Möglichkeit günstige, gut erhaltene und qualitativ hochwertige Kleidung zu kaufen eine große Bedeutung. Gleichzeitig besteht sie zu einem großen Teil aus Baumwolle und nicht aus Kunstfasern, wie asiatische Importe, was auch hygienische Vorteile hat. Secondhandkleidung ist oft nur wenige Monate getragen und damit aktuell und modisch. Weltweit möchten die Menschen mit einem individuellen Kleidungsstil ihre Persönlichkeit unterstreichen und an Modetrends teilhaben. Auch durch z.B. hohe Geburtenraten wird viel mehr Ware angefragt als geliefert werden kann.
In seinen Ausführungen machte uns Herr Voigt auch darauf aufmerksam, dass wie in allen Branchen leider auch unter den Textilsammlern schwarze Schafe gibt, die beispielsweise einen guten Zweck nur vortäuschen oder den ordentlichen Anzeige- und Genehmigungsweg nicht einhalten. Verbraucher sollten vor allem darauf achten, ob Kontaktdaten angeben sind, das Unternehmen erreichbar sind oder am besten ihnen bekannte soziale Verbände wie beispielsweise Kolping nutzen. Orientierung gibt auch das bvse-Qualitätssiegel für das Textilrecycling.
An dieser Stelle möchten wir auch über eine Vereinbarung zwischen der Kolpingsfamilie Nottuln und der öffentlichen, ökumenischen Kleiderstube im Johanneshaus informieren, die ebenfalls seit Jahrzehnten Textilien von Nottulner BürgerInnen sammelt und weitergibt. Schon lange werden u.a. Bedürftige (Flüchtlinge u.a.), aber auch einfach Secondhand-Interessierte mit tragbarer Kleidung versorgt. Eine ausbaubare Zusammenarbeit, Kooperation wurde bei diese Informationsfahrt zwischen unseren Institutionen in Geestland angeschoben. D.h. zukünftig soll die gute, tragbare Kleidung (klassische Secondhandware) aus der Samstag-Bringesammlung von Kleiderstuben MitarbeiterInnen im Zwischenlager Kolping vor Ort gesichtet und ggf. für den Weiterverkauf von der Kleiderstube übernommen. Im Ergebnis steigert die Kolpingsfamilie dadurch eines ihrer wichtigsten Ziele, die Unterstützung von Bedürftigen direkt vor Ort, die Nachhaltigkeit ihres Tuns in Sachen Altkleider-FAIR-Wertung und bekommt im Gegenzug überschüssige, nicht verkaufbare Ware zur weiteren Verwertung zurück. Beide Seiten sprechen von einer klassischen Win/Win-Situation.
Zum Abschluss kann man sagen, es war ein wirklich sehr offenes Nachgespräch und unsere Ursprungsfrage “Was passiert mit der Nottulner Büx, dem Hemd aus dem Altkleidercontainer, wenn sie die Ortgrenze verlassen haben?” wurde sehr kompetent und im wahrsten Sinne „anschaulich“ beantwortet.
Dass die Besichtigungsfahrt und auch die wichtigen, nebenbei in der Reisegruppe geführten Gespräche ihren Zweck offensichtlich erfüllt haben, konnte man während der Rückfahrt in vielen Gesprächen erfahren.
Die teilweise festzustellende Unsicherheit in Bezug auf Altkleidersammlungen ist durch Hintergrundwissen, Fakten und Information zu einem überzeugten Tun geworden, ganz im Sinne von Adolph Kolping -„In der Gegenwart muss unser Wirken die Zukunft im Auge behalten, sonst ist unser Streben töricht und wird keinen rechten Segen tragen können.“
Um 19:30 Uhr war die Gruppe dann wieder in Nottuln, sicher müde und geschafft, aber eben auch zufrieden und voll motiviert das Thema Altkleidersammlung weiter intensiv in der Kolpingsfamilie Nottuln zu bearbeiten.
Wir erinnern aber auch an unsere „Bringesammlung“! An jedem 2. Samstag im Monat von 10-12 Uhr nehmen unsere ehrenamtlichen, freundlichen Kolpingsammler an der Pfarrkirche St. Martinus in Nottuln ihre Altkleiderspende entgegen.
Quelle/Links/weitere Informationen zum Thema: